1. Der Sachverhalt
In dem Verfahren (EuGH C-66/19) ging es um eine Streitigkeit zu einem Darlehensvertrag zwischen der Kreissparkasse Saarlouis und einem Kunden. Der Kunde hatte seinen 2012 gezeichneten Darlehensvertrag 2016 widerrufen und sich darauf gestützt, dass der Widerruf noch möglich sei, weil die Sparkasse ihn nicht wirksam belehrt hatte.
Der Darlehensvertrag enthielt die typische Formulierung:
„Widerrufsrecht
Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat …“
Welche Pflichtangaben das sind, ergibt sich aus dem erwähnten § 492 BGB nicht unmittelbar. Dieser verweist vielmehr auf Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB. Dort sind die einzelnen Pflichtangaben wild verteilt auf die verschiedenen Paragraphen. In Art. 247 § 9 EGBGB erfolgt dann wieder eine Verweisung auf das BGB, nämlich § 503 mit Weiterverweisungen.
2. Langjährige Kritik an Kaskadenverweisung
Schon seit Jahren wird diese „Kaskadenverweisung“ von Rechtsanwälten, die betroffene Darlehensnehmer vertreten, kritisiert. Denn die zahlreichen Verweise und komplexen Formulierungen sind selbst für Juristen nicht immer nachvollziehbar. Es bedarf einer aufwendigen rechtlichen Prüfung, um alle Pflichtangaben benennen zu können. Zu Recht wurde daher stets vorgebracht, dass ein gewöhnlicher Verbraucher nicht in der Lage ist, selbst zu überprüfen, ob er alle Pflichtangaben erhalten hat und damit, ob die 14tägige Widerrufsfrist bereits begonnen hat. Schon der Umstand, dass überhaupt auf ein Gesetz verwiesen wird, das die Verbraucher regelmäßig nicht bei der Hand haben, um mal eben schnell nachzulesen, wurde kritisiert. Dann auch noch eine komplexe Verweisungsstruktur verfolgen zu müssen, ist für einen Verbraucher unmöglich.
3. Ignoranz bei Gerichten und Gesetzgeber
Die Gerichte, die bislang mit derartigen Fällen befasst waren, sahen in den Formulierungen regelmäßig kein Problem oder vermieden es, sich damit auseinanderzusetzen. Der Bundesgerichtshof hat sogar mehrfach entschieden, dass ein Verweis auf gesetzliche Regelungen eine Belehrung nicht intransparent und damit unwirksam machen würde. Diese Formulierung hat sogar der deutsche Gesetzgeber in seinen Musterbelehrungen vorgegeben.
Das Landgericht Saarbrücken, bei dem der Darlehensnehmer gegen die Sparkasse geklagt hatte, erkannte das Problem und ging dem auch nach. Es legte das Verfahren dem EuGH vor und wollte wissen, ob die Verweisung in der Widerrufsbelehrung mit den zahlreichen Weiterverweisungen mit dem EU-Recht vereinbar ist. Denn das Widerrufsrecht ist im deutschen Recht aufgrund einer EU-Richtlinie geregelt, wonach die Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts in „klarer, prägnanter“ Form angegeben werden müssen. Deshalb war der Weg auch frei für eine Vorlage an den EuGH.
4. Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat nun entschieden:
- Die Modalitäten, nach denen die Widerrufsfrist berechnet wird, müssen in klarer, prägnanter Form angegeben werden.
- Weiter stellt der EuGH fest, dass eine Verweisung auf gesetzliche Regelungen nach EU-Recht nicht zulässig ist. Der Verbraucher muss aus der Widerrufsinformation nachvollziehen können, welche Pflichtangaben vorliegen müssen, damit die Widerrufsfrist zu laufen beginnt, ohne erst Rechtsnormen lesen zu müssen.
- Eine Weiterverweisung ist dann erst recht nicht mit dem EU-Recht vereinbar.
5. Folgen der Entscheidung
Der EuGH hat zunächst nur die vorgelegte Frage zur Vereinbarkeit mit den eu-rechtlichen Vorgaben entschieden. Alles Weitere müssen nun die deutschen Gerichte entscheiden. Die Entscheidung hat aber Auswirkungen auf eine Vielzahl von derzeit anhängigen Gerichtsverfahren zur Frage der Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung. Nicht nur Immobiliendarlehensverträge enthielten zwischen 2010 und 2016 regelmäßig in ihren Widerrufsbelehrungen diese Verweisregelung. Sie betrifft auch sonstige Verbraucherdarlehensverträge, zum Beispiel Pkw-Darlehensverträge oder Konsumentenkredite. Bis heute findet sich diiese Formulierung in den Musterbelehrungen für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge. Der deutsche Gesetzgeber hat nun wiederholt eine fehlerhafte Formulierung für die Musterbelehrungen vorgegeben, was mehr als peinlich ist.
6. Wer kann jetzt widerrufen?
Grundsätzlich kommt ein Widerrufsrecht daher bei nahezu allen seit 10.06.2010 geschlossenen Darlehensverträgen in Betracht. Allerdings sollten Darlehensnehmer nun nicht vorschnell und nicht ohne Beratung ihren Darlehensvertrag widerrufen, da es noch einige Fragen zu klären gibt. Insbesondere gilt es zu prüfen, welche konkreten Folgen sich aus dem Widerruf ergeben. So muss die Darlehensvaluta dann sofort zurückgezahlt werden. In vielen Fällen sind für die Zeit der Darlehensnutzung Zinsen zu zahlen. Im Ergebnis ergibt sich oftmals kein wirklicher Vorteil. Außerdem gibt es gleichwohl noch zahlreiche Einwende, die die Kreditinstitute vorbringen können.
So ist auch gesetzlich geregelt, dass die Kreditinstitute ordnungsgemäß belehrt haben, wenn sie die Muster mit den vom EuGH nun für unzureichend erachteten Verweisen verwendet haben. Diese Regelung muss dann für nicht anwendbar erachtet werden. Schließlich stützen sich die Kreditinstitute auch regelmäßig darauf, dass ein nach vielen Jahren erklärter Widerruf rechtsmissbräuchlich sei.
Jedem betroffenen Darlehensnehmer, der sich von seinem Darlehensvertrag lösen will, kann ich daher nur empfehlen, sich zuvor anwaltlich beraten zu lassen. Ich habe jahrelange Erfahrungen mit dem Widerruf von Darlehensverträgen und verfolge die Entwicklungen in der Rechtsprechung und in der Gesetzgebung genau und berate Sie gerne.
Bitte setzten Sie sich mit mir in Verbindung
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Ich informiere Sie dann über das weitere Verfahren, insbesondere die benötigten Unterlagen und entstehende Kosten.